Unsere Auferweckung
Unsere Auferweckung
„Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden ...
... als der Erste der Entschlafenen“ (1 Kor 15,20).
„Erster der Entschlafenen“, das muss genauer erklärt werden. Im griechischen Urtext steht hier der Ausdruck „aparche“, der so viel bedeutet wie „Erstlingsfrucht“. Wenn in Israel die Gerstenernte begann, wurde eine Garbe als „Erstlingsfrucht“ Gott dargebracht. Mit dieser Erstlingsfrucht begann die Ernte. Auf Christus angewandt bedeutet dies: Christus als dem Ersten (der Erstlingsfrucht) der Auferweckten wird mit Sicherheit die Auferweckung (die Ernte) der verstorbenen Christen folgen. Auferstehung Christi und Auferweckung der Christen gehören unlöslich zusammen.
Unsere Auferweckung
Ich denke, viele Christen tun sich nicht schwer, an die Auferstehung Jesu zu glauben, wohl aber an ihre eigene Auferweckung aus dem Tod, besonders wenn sie den Tod eines lieben Menschen miterlebt haben: der leblose Leichnam, das Begräbnis.
Vielleicht wird dieser Glaube noch schwieriger, wenn der Verstorbene verbrannt wurde und sichtbar nur ein Häufchen Asche bleibt.
Unser Nachdenken über die Auferweckung muss mit der Taufe beginnen. Jesus sagte zu Nikodemus: „Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. ... Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (Joh 3,3.5).
Das bedeutet: Durch die Taufe wird uns ein neues Leben, ein Leben „von oben“, ein göttliches Leben geschenkt.
„Denn es gilt weder die Beschneidung etwas noch das Unbeschnittensein, sondern: neue Schöpfung“ (Gal 6,15). Hier spielt Paulus auf die Bedeutung der Taufe an, sie ist eine neue Schöpfung. Göttliches Leben – neue Schöpfung, was ist die Taufe Großes!
Mit der Taufe hat ein Zukunftsprozess begonnen, der niemals mehr enden wird!
Auferweckung
Ein Höhepunkt in diesem Prozess ist unsere Auferweckung aus dem Tod. Wir sind in der Taufe mit Christus aufs Innigste vereint worden: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Wir sind mit dem Auferstandenen verbunden, kann er uns dann im Tod einfach zu Grunde gehen lassen?
Es stellt sich aber die Frage, wann erweckt uns Jesus aus dem Tod? Im Philipperbrief, der Apostel sitzt im Gefängnis und erwartet den Ausgang seines Prozesses, der mit der Todesstrafe enden könnte, schreibt Paulus: „Ich habe das Verlangen, aufzubrechen und bei Christus zu sein – um wie viel besser wäre das!“ (1,23). Der Apostel will im Tod zu Christus gelangen. Damit korrigiert Paulus selbst die Auffassung, dass Auferweckung erst bei der Wiederkunft (Parusie) Christi erfolgt.
In seinem Glaubensmanifest schreibt Kardinal Gerhard Müller: „Der Tod lässt die Entscheidung des Menschen für oder gegen Gott definitiv werden. Jeder muss sich unmittelbar nach dem Tod dem besonderen Gericht stellen. Entweder ist noch eine Läuterung notwendig oder der Mensch gelangt unmittelbar in die himmlische Seligkeit und darf Gott von Angesicht zu Angesicht schauen.“
Wir müssen zugeben, dass die Auffassung über das „wann“ der Auferweckung nicht einheitlich ist, aber wir dürfen mit dem Apostel Paulus, Kardinal Müller und der überwiegenden Anzahl der Theologen an der Auferweckung im Tod festhalten.
Wie werden wir auferweckt?
Zunächst müssen wir sagen, dies ist ein Glaubensgeheimnis, das sich unserer Vorstellungskraft entzieht. Und doch kann uns der Apostel Paulus eine Hilfe zum Verständnis bieten: „Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (Röm 8,11).
Wichtiger als die Überlegungen, wie wir auferweckt werden, ist die Frage nach den Folgen der Auferweckung.
Eine Antwort gibt uns der 1. Johannesbrief: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. ... Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (3,1f).
Gott ähnlich sein – gibt es etwas Größeres?
Teilhaben an seiner Schönheit, seiner Liebe, seiner Erkenntnis, seiner Macht; deshalb können uns ja auch die Heiligen, aber auch unsere Lieben, vom Himmel aus helfen. „ Mein Himmel wird es sein, auf der Erde Gutes zu tun“ (Theresia von Lisieux) und „Erst im Himmel werden wir aktiv werden“ (Maximilian Kolbe).
Die „leibliche“ Auferstehung
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Christen mit der „leiblichen“ Auferstehung Schwierigkeiten haben. Versuchen wir hierzu Klärendes zu sagen.
Wir gehen dabei von den Wandlungsworten „Das ist mein Leib“ aus. Es ist klar, dass Jesus nicht mit seinem Körper, sondern mit seiner verwandelten, verklärten Daseinsweise, dem verklärten Leib, in der Hostie gegenwärtig ist. Auf diese Weise will er mit uns Menschen verbunden bleiben. Wir könnten sagen, „verklärter Leib“ bedeutet, dass wir mit der Welt weiter verbunden bleiben können. Das muss uns aber in und mit der Auferweckung geschenkt werden.
Völlig versagt?
Der Philosoph Karl Popper drückt einen Grund für unseren Mangel an Hoffnung so aus: „Ich will noch sagen, dass alle Versuche, sich ein ewiges Leben vorzustellen, meiner Ansicht nach völlig darin versagt haben, diese Vorstellung irgendwie verlockend zu machen.“1 Versagen auch im christlichen Glauben alle Versuche?
Von überwältigender Ungeheuerlichkeit
Unter Tränen rief der Pfarrer von Ars bei einer Predigt aus: „Wir werden Gott schauen, wir werden Gott schauen.“ Das verspricht uns auch die Bibel (vgl. 1 Joh 3,2). Der große Mystiker und Denker Meister Eckehart bekennt: „Gott ist immer neu, ... immer wirkt er; nie wird er alt.“
Der Physiker und Mystiker Bernhard Philbert berichtet von einer mystischen Schau: „Gott zeigte mir das Universum in seiner gigantischen Größe und Großartigkeit ...“ Und weiter: „Es tauchte eine unendliche Menge von Kosmen auf, von denen jeder vor Gott ein verschwindender Punkt ist ... Dieses Erlebnis war von einer überwältigenden Ungeheuerlichkeit.“2
Das ist ein kleiner Vorgeschmack von dem, was es bedeutet: Wir werden Gott schauen. Was wird uns Gott alles zeigen...
Eine Gewalt, die den härtesten Stein zerbricht
„Wenn man von Liebe spricht ... geht es um das tiefste, realste Bedürfnis eines jeden menschlichen Wesens“ (E. Fromm). Wie richtig diese Feststellung ist, können wir daran erkennen, dass der Mensch nur dann wirklich glücklich ist, wenn er Liebe erfährt, aber auch selbst lieben kann. Aber ganz glücklich sind wir in unserem Leben hier auf Erden nie; da es immer etwas gibt, was den Himmel zurückhält. Die Herrlichkeit, mit der uns Gott beschenken will, bedeutet auch Erfüllung unserer Sehnsucht nach Liebe.
Dafür wieder – als Vorahnung – ein Gotteserlebnis. Am 8. Juli 1935 durfte der 20-jährige Atheist André Frossard in einer kleinen Kapelle in Paris Gott begegnen. Er schildert diese Begegnung so:
„Ich sage nicht: der Himmel öffnet sich; er öffnet sich nicht, er stürzt auf mich zu. ... Es ist ein unzerstörbarer Kristall, von einer unendlichen Durchsichtigkeit, einer beinahe unerträglichen Helle (ein Grad mehr würde mich vernichten) einem eher blauen Licht, eine Welt, eine andere Welt, von einem Glanz und einer Dichte, dass unsere Welt vor ihr zu den verwehenden Schatten der nicht ausgeträumten Träume zurücksinkt. ... Es ist eine Ordnung im Universum, und an ihrer Spitze, jenseits dieses funkelnden Nebelschleiers, ist die Evidenz Gottes, die Evidenz, die Gegenwart ist, die Evidenz, die Person ist, die Person dessen, den ich vor einer Sekunde noch geleugnet habe, den die Christen unseren Vater nennen und dessen milde Güte ich an mir erfahre, eine Milde, die keiner anderen gleicht. ... Es ist eine aktive, durchdringende, eine Milde, die alle Gewalt übertrifft, die fähig ist, den härtesten Stein zu zerbrechen und was härter ist als der Stein – das menschliche Herz.“3
André Frossard ist nicht nur Gott begegnet, sondern hat auch seine Liebe erfahren. Dies ist das Wesentliche der Herrlichkeit, die uns Gott schenkt: seine Liebe, die wir erwidern dürfen. Ergänzt wird diese durch die gegenseitige Liebe mit den anderen Himmelsbewohnern. So werden wir ganz glücklich sein.
Vorahnungen
Ein Kritiker wird fragen: Sind das nur fromme Phantasien? Dem ist entgegenzuhalten: Wenn uns Gott ewiges Leben schenken will, dann kann es nur so sein, wie ich versucht habe, es in schwachen Worten auszudrücken; anders wäre es nicht nur langweilig, sondern unerträglich.
Ernste Wahrheiten
Bei aller Freude über unsere Auferweckung dürfen die drei ernsten Wahrheiten Tod, Gericht und Fegefeuer nicht verdrängt werden. Kardinal König hat jeden Tag an seinen Tod gedacht. Sollten wir uns nicht öfter dem Bußgericht, der heiligen Beichte, stellen? Wie steht es mit der abendlichen Gewissenserforschung?
Vollendet?
Man spricht von den Verstorbenen, besonders den Heiligen, dass sie „vollendet“ sind. Das ist nicht ganz richtig. Wir sprachen von dem „Zukunftsprozess“, der mit der Taufe begonnen hat. Ja, ein erster Höhepunkt ist die Auferweckung aus dem Tod. Damit ist der Prozess jedoch nicht abgeschlossen.
Ein zweiter Höhepunkt ist das Ende der Welt, wenn der letzte Mensch aus dem Tod erweckt wird. Ist dann der Zukunftsprozess abgeschlossen? Nein. Er läuft weiter, wir werden in Gott immer Neues erfahren, wir werden „immer neu eintauchen in die Freude“ (Benedikt XVI.). Wäre dem nicht so, wäre ein ewiges Leben unerträglich.
Konsequenzen
Der Zukunftsprozess hat mit der Taufe begonnen. Versuchen wir schon hier und jetzt, intensiver mit Christus, dem Auferstandenen, zu leben: durch das Gebet, Bedenken seines Wortes, die Eucharistiefeier, das oftmalige Beten des Stoßgebetes „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner (unser)“, die Hinwendung zum Nächsten. So können wir schon jetzt Vorzeichen von Auferweckung erfahren.
Beten wir nicht gedankenlos im Ave Maria: „Jetzt und in der Stunde unseres Todes“, es ist die größte Stunde unseres Lebens. Bitten wir bewusst „dein Reich komme“, das ist unsere Zukunft, unsere endgültige Heimat.
Auch das gute Beten des glorreichen Rosenkranzes kann uns eine Hilfe sein, an unsere Zukunft zu glauben. An unsere Zukunft, die in unserer Auferweckung einen Höhepunkt erfährt.
„Einmal reißt er uns alle hinauf,
aus Sterben in Leben,
aus Siechtum in siegende Kraft,
aus Kleinheit in Glorie,
aus engen Zeiten in ewige Weiten.“
(Cyrill von Alexandrien zugeschrieben)
P. Benno Mikocki OFM
1 Eccles/Popper, Das Ich und sein Gehirn, S 654
2 Philbert B., Ein Wissenschafter erlebt Gott, Christiana, S 32f
3 Frossard A., Gott existiert, ich bin ihm begegnet, Herder S 136f