Vom Sieg zum Frieden
Glasklares, blaues Wasser, schroffe Felsen, kleine Hafenorte, versteckte Buchten: Wer heute den Golf von Patras nördlich der griechischen Peleponnes bereist, wird sich kaum vorstellen können, welch grausames Gemetzel sich an dieser Stelle vor rund 450 Jahren abgespielt hat.
Am 7. Oktober 1571 fand hier die berüchtigte Seeschlacht von Lepanto statt – jene Seeschlacht, bei der Grausames und Wundersames in unerhörte Nähe traten. Schließlich fanden bei der Schlacht, in der die christlichen Mittelmeermächte unter Papst Pius V. einen überraschenden Sieg über das Osmanische Reich errangen, fast 40.000 Menschen den Tod. Zugleich wird der Sieg in der christlichen Überlieferung einem „Gebetssturm“ und der Fürsprache Mariens zugesprochen. Wie kam es dazu? Und was ist „dran“ an der göttlich-marianischen Hilfe?
Unmittelbarer Anlass des Aufeinandertreffens der Truppen bei Lepanto war die osmanische Eroberung Zyperns. Zudem verbreiteten seit geraumer Zeit muslimische Piraten im Mittelmeer Angst und Schrecken. So bildete sich eine kurzlebige sogenannte „Heilige Liga“ der christlichen Mittelmeermächte Spanien, Genua und Venedig – vereint unter der Schirmherrschaft Papst Pius‘ V. (1566-1572). In Messina auf Sizilien sammelte sich die christliche Flotte und segelte durch das Ionische Meer, um im Golf von Korinth vor Lepanto die zahlenmäßig überlegene türkische Flotte zu stellen. Auf mehreren Kilometern Frontlinie südlich der Insel Oxia standen gut 200 Schiffe etwa 250 osmanischen gegenüber, knapp 70.000 Soldaten, Matrosen und Ruderer rund 80.000 Gegnern.
Beide Seiten gingen in der Überzeugung göttlicher Führung und göttlichen Schutzes in den Kampf, der aufgrund der Enge zu einem Nahkampf Schiff gegen Schiff, Mann gegen Mann wurde. Die türkische Flotte wird abgedrängt, Don Juan de Austria, der die christliche Flotte befehligte, wurde verletzt, der Kommandeur der osmanischen Flotte, Ali Pascha, getötet. Am Ende wird die Schlacht 30.000 Tote auf Seiten der Osmanen und rund 8.000 auf Seiten der christlichen Allianz fordern.
Göttlicher Fingerzeig
Der Sieg der „Heiligen Liga“ kam wohl für sie selbst überraschend. Angesichts der gegnerischen Übermacht musste dies für die einfachen Soldaten und Seeleute nach einem Himmelfahrtskommando ausgesehen haben. Umso mehr wurde der Sieg als ein göttlicher Fingerzeig gedeutet. Schließlich hatte Papst Pius V. im Vorfeld der Schlacht die gesamte Christenheit aufgerufen, für den Sieg zu beten. Daher schrieb man den Sieg auch weniger dem militärischen Geschick als vielmehr dem Wirken der Gottesmutter und der Kraft des Rosenkranzgebets zu. Insbesondere die Rosenkranz-Bruderschaften hatten in Rom unaufhörlich für den Sieg der christlichen Koalition gebetet.
Dabei konnte der Rosenkranz auf bis dato keine lange Tradition zurückblicken, war er doch überhaupt erst vor rund einem Jahrhundert entstanden. Erst der Sieg von Lepanto verlieh dem Gebet nun eine ungeahnte Popularität, so dass Papst Pius V. aus Dankbarkeit den Gedenktag „Unserer Lieben Frau vom Siege“ einführte, der fortan am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wurde. Kurze Zeit später wurde dieses Fest – in klarer Fokussierung auf den eigentlichen Anlass des Sieges – auf das „Fest Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ umbenannt.
Doch Lepanto sollte aus Sicht der christlichen Mächte nicht der einzige Erweis der geschichtswendenden Macht der Gottesmutter und des Rosenkranzgebetes bleiben. Auch den Sieg in der Schlacht von Peterwardein im August 1716 während des 6. Österreichischen Türkenkrieges, in dem die kaiserliche Armee bei Peterwardein, eine Festung bei Novi Sad im heutigen Serbien, auf das osmanische Heer traf. Unter dem Kommando von Prinz Eugen von Savoyen konnte erneut aus einer rettungslos erscheinenden Unterzahl von 80.000 kaiserlichen Soldaten gegenüber 150.000 osmanischen Soldaten der Sieg errungen werden.
Aus Dankbarkeit für diesen Sieg, den man abermals der Fürsprache Mariens zusprach, erhob Papst Clemens XI. (1700-1721) das Rosenkranzfest, das zunächst kein weltweit begangener Tag war, 1716 zu einem verbindlichen Fest, verankert im Römischen Generalkalender. 1913 wurde es schließlich auf den 7. Oktober, den Tag der Schlacht von Lepanto, festgelegt. Seit der Liturgiereform von 1969 im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils ist das Fest heute ein gebotener Gedenktag mit dem Titel „Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz“.
Der Schrei als Urform des Gebets
Die Vorstellung eines direkten göttlichen Wirkens in der Geschichte ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Die Bitte um Errettung, der Schrei des Menschen in höchster Not, so hat es der Theologe Johann Baptist Metz (1928-2019) einmal gesagt, kann als die Urform des Gebets betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund hat sich das Bittgebet, auch der Rosenkranz, bis heute als Ausdruck der Sehnsucht nach Heil und Rettung gehalten und bewährt.
Ob historische überraschende Ereignisse und Kehrtwenden zum Erweis dieser rettenden Kraft taugen, mag hier nicht beurteilt werden. Wo immer Menschen handeln – ob politisch, ob militärisch oder sozial –, bleiben Motive und Einflüsse unerkannt und ein unentwirrbares Zusammenspiel von geschichtlichen Faktoren. Zu den religiösen Wahrheiten zählt aber auch: Gott hat keine anderen Hände als unsere. Er wirkt und handelt durch Menschen. Darin besteht das Geheimnis der Menschwerdung Christi. Und so mag ein schmaler Spalt als Einfallstor des Göttlichen in diese Welt offen bleiben – ein Spalt, der sich im und durch das Gebet vergrößern lässt.
Zugleich aber bleibt die betende Fürbitte, das Gebet um Rettung, so lange eine historisch zweischneidige Angelegenheit, solange es die Vernichtung des Feindes beinhaltet, so lange es nicht auf Frieden und Versöhnung gerichtet ist. Und so fällt auch auf die Geschichte des Rosenkranzfestes ein dunkler Schatten – ein Schatten politischer, ja, militärischer Instrumentalisierung, erkauft durch die Vernichtung des Feindes.
„Christus ist euer Führer“
Dass dies nicht so sein muss, dass das Fürbittgebet im Zeichen des Rosenkranzes eine friedliche, ja, regimekritische Sinnspitze hat, hat nicht zuletzt eine Feier des Rosenkranzfestes 1938 im Wiener Stephansdom deutlich gemacht: Am 7. Oktober 1938 hatten sich rund 6.000 Jugendliche im Dom versammelt. Kardinal Theodor Innitzer (1932-1955) nahm in seiner Predigt geschickt Elemente aus der sogenannten Rosenkranz-Enzyklika Papst Leos XIII. (1878-1903) auf und montierte sie – so etwa das bekannte Zitat „Christus ist euer Führer“ – zu einer Speerspitze der Regimekritik.
Auch das nunmehr 75-jährige segensreiche Wirken des „Rosenkranz Sühnekreuzzuges“ steht dafür ein, dass der Rosenkranz bis heute trotz aller historischen Schatten ein Zeichen und Gebet des Friedens und der Versöhnung ist.
Seit 1969 sieht der römisch-katholische Festkalender im Übrigen für den 1. Jänner das Hochfest der Gottesmutter Maria vor. An diesem Tag begeht die Kirche zudem den Weltfriedenstag – sehr passend für Maria, die als „Friedenskönigin“ angerufen und verehrt wird.
Henning Klingen